Juli 2

Krankhafte Verbitterung

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„Wenn Bitterkeit krank macht“, dieses interessante Interview mit dem Berliner Psychiater Michael Linden, habe ich im „Focus“ 26/2011 gelesen, von dem ich Euch an dieser Stelle berichten möchte.

Verbitterung hat wohl jeder von uns nach einer großen Enttäuschung schon einmal erlebt. „Alles ist doof. Die können mich mal alle am A… lecken“. Diese und ähnliche Gedanken sind zwischendurch normal und kein Grund zur Beunruhigung.

Genauso, wie 2 bis 3 Mal im Jahr auftretende Panikattacken noch keine Panikstörung begründen, ist gelegentliche Verbitterung noch lange keine behandlungsbedürftige Erkrankung.

Wann aber wird Verbitterung zur Krankheit?

Laut Michael Linden wird Bitterkeit dann krankhaft, „wenn der Schmerz und die Wut übergroß sind und sehr lange über das auslösende Erlebnis hinaus andauern.“
Schätzungen zur Folge sind 1 bis 2 % der Bevölkerung von krankhafter Verbitterung betroffen, wonach immerhin etwa eine Million Menschen allein in Deutschland unter krankhafter Verbitterung leiden.

Wie drückt sich diese Bitterkeit aus?

Laut Linden sind diese Menschen meist schlecht gelaunt und verlieren an allem das Interesse. Sie ziehen sich von Freunden und ihrer Familie zurück, leiden oft unter Schlafstörungen und psychosomatischen Beschwerden. Zudem denken sie ständig an das erlebte Ereignis zurück. Menschen, die unter krankhafter Verbitterung leiden, fühlen sich meist ungerecht behandelt und nehmen diese Ungerechtigkeit als Aggression wahr, was ihrerseits wiederum eine Gegenaggression auslöst.
Manche haben aggressive Fantasien und Mordgedanken oder geben eine Menge Geld für irgendwelche Rechtsstreitigkeiten aus.

Rache zu nehmen helfe den Betroffenen laut Linden allerdings nicht weiter. Meist fühlen sie sich noch schlechter als zuvor.

Als Quellen kommen alle wichtigen Lebensbereiche in Frage. Oftmals geschieht es dort, wo man eigentlich seine Stärken sieht. Wem die Karriere extrem wichtig war, den trifft eine Entlassung besonders hart, den Familienmenschen die Scheidung.

Wie kann man krankhafte Verbitterung behandeln?

Das, so der Psychiater, sei nicht einfach, da sich die meisten nicht besonders kooperativ verhalten. Viele meinen, die Welt müsse sich ändern und nicht sei selbst. Auch Medikamente helfen meist nicht weiter.
Was ganz gut hilft, ist, den Verbitterten mehr Handlungsspielraum zu geben, indem man grundsätzliche Problemlösungsstrategien entwickelt. Es werden bestimmte psychische Eigenschaften gestärkt, die den Betroffenen in die Lage versetzen, eigene Entscheidungen zu treffen und zu handeln.

Fazit

Auch ich hatte schon Phasen in meinem Leben, in denen ich sehr verbittert war. Als ich zunächst keinen Job gefunden habe und dazu der kreisrunde Haarausfall kam, glaubte ich, alles schien sich gegen mich verschworen zu haben. Ich habe schließlich nichts gemacht, womit ich das verdient hatte.
Auch der Tod meines Vaters hat mich schwer getroffen. Es war einfach nicht gerecht und wahnsinnig schwer zu akzeptieren. Klar sagt man da schnell „Alles ist scheiße. Die Welt, das Leben, einfach alles ist zum Kotzen“.

Das wirft die Frage auf, ob krankhafte Verbitterung nicht häufiger der Auslöser für psychosomatische Erkrankungen wie Panikattacken, Depressionen usw. ist, als man bislang vermutet hatte. Auch erscheint mir die Abgrenzung zur Depression nicht besonders leicht. Als Laie würde ich jetzt einmal vermuten, dass bei der krankhaften Verbitterung im Gegensatz zur Depression ein bestimmtes Ereignis im Vordergrund steht, während eine Depression ganz unabhängig davon vorliegt.

So oder so, schon mehrfach habe ich anklingen lassen, dass die Abgrenzung zwischen all den psychischen Erkrankungen nicht einfach ist. Wo fängt die Hypochondrie an, während man zunächst eine Panikstörung hatte? Wann kommen Depressionen hinzu? Wo beginnt die generalisierte Angststörung? Es ist nicht einfach, das zu bestimmen.

Was ich aber immer wieder wahrnehme: Oft hilft es einfach unheimlich, mehr Handlungsspielraum zu erlangen, in die Lage versetzt zu werden, Entscheidungen zu treffen, Veränderungen anzustreben, einfach wieder mehr Kontrolle zu erlangen, sich weniger machtlos zu fühlen.

Krankhafte Verbitterung – eine mir bislang so nicht bekannte psychische Krankheit. Es kommt doch immer wieder etwas hinzu. Was meinst Du dazu?


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