Dezember 13

Eine Erfolgsgeschichte: Wie Sandra ihre Angststörung überwinden konnte

Kann ich eine Angststörung überwinden? Immer wieder erreicht mich diese Frage. Wir wollen uns der Beantwortung dieser Frage widmen und schauen uns dazu eine Erfolgsgeschichte an.

Kann man eine Angststörung überwinden oder muss man lernen, mit übermäßiger Angst bis hin zu Panikattacken zu leben? Immer wieder erreicht mich diese Frage. Und immer wieder weise ich darauf hin, dass ich selbst habe eine Angststörung überwinden können. Ich WEIß also aus eigener Erfahrung, dass das möglich ist.

Aber ich bin natürlich nicht der Einzige. Ich kenne inzwischen Hunderte, die Angstzustände und Panikattacken ebenfalls (selbst nach jahrelanger Leidenszeit) hinter sich lassen konnten. Mit vielen davon habe ich sogar zusammengearbeitet.

Und ich bekomme viele positive Rückmeldungen. Die wenigsten sind allerdings damit einverstanden, dass diese veröffentlicht werden. Zu groß ist die Angst vor negativem Feedback, da Angstzustände und Panikattacken leider immer noch ein Tabu sind.

Doch ich weiß, dass Erfahrungsberichte, die beschreiben, wie es jemand geschafft hat, eine Angststörung zu überwinden, für Betroffene extrem hilfreich sein können.

Und deshalb möchte ich nun hin und wieder auch Erfolgsgeschichten veröffentlichen, da ich der Meinung bin, dass diese Betroffenen Mut machen und Hoffnung geben können, dass auch sie ihre Angststörung überwinden können.

Und Sandra hat mich auf diese Idee gebracht. Denn sie hat geschrieben: „Ich denke mir oft, dass wenn man in diesen ganzen Foren unterwegs ist, liest man immer die schlimmsten / akutesten Situationen und Fälle. Die wenigsten ehemaligen Angstpatienten schreiben dort motivierende Worte – einfach weil sie froh sind, dieses Kapitel endlich hinter sich gelassen zu haben. Verständlich irgendwie. Sie wollen schlicht und einfach nichts mehr damit zu tun haben. Deshalb finde ich es so wichtig, dass man Menschen wie dir, die so tolle Arbeit leisten, auch diese Rückmeldung gibt.“

Und aus diesem Grund ist Sandra damit einverstanden, dass ihre Erfolgsgeschichte hier erzählt wird. Sie hat sich sogar bereit erklärt, dass ihr Foto gezeigt wird (findest Du weiter unten). Ich bedanke mich herzlich für ihre Offenheit und ihren Mut.

So konnte Sandra ihre Angststörung überwinden

Sandra hat mir eine lange Mail geschrieben, in der sie mir beschreibt, wie sie ihre Angststörung überwinden konnte. Aber lies selbst:

Nach Deiner letzten E-Mail habe ich mich gefragt, was war 2016 genau für mich eigentlich? Traurig? Anstrengend? Voller Hürden? Glück? Freude? Im Grunde genommen eine Mischung aus allem und noch viel mehr. Und genau das ist viel wert.

Die Jahre 2014 und 2015 kann ich nämlich unter ein einziges Wort stellen: Angst. Ich litt unter einer schrecklichen Angst- und Panikstörung, zusätzlich einer hypochondrischen Störung und wurde durch diese ganzen Einschränkungen schlussendlich depressiv.

Ich war zwei Jahre lang quasi nicht in der Lage, alleine in einem Raum zu sein. Meist nicht einmal auf der Toilette. Ich hatte immer und ständig Angst, direkt auf der Stelle tot umzufallen. Ich hatte Panikattacken, welche sich über Stunden hinzogen. Ich habe viele, viele Nächte kein Auge zugemacht.

Und da ich furchtbare Angst vor Medikamenten hatte, sah ich mich nicht einmal dazu in der Lage, ein „Notfallmedikament“ zu nehmen. Ein Teufelskreis. Ich war zwei Jahre lang ambulant in Behandlung und insgesamt 6 Monate davon teilstationär in einer psychiatrischen Tagesklinik.

Ich bin heute 28 Jahre alt und Mutter eines inzwischen 10-jährigem Sohnes. In den Jahren 2014 und 2015 griff ich nach jedem Strohhalm der mir möglicherweise Hilfe verschaffen könnte. Bücher über Angst, Artikel in Fachzeitschriften, deine wunderbaren Emails, dein Blog, viele Foren, Gespräche mit Ärzten und Therapeuten, Termine beim Heilpraktiker, Medikation und und und.

Ich kann dir nicht sagen, wie viele Arztpraxen und Krankenhäuser ich von innen gesehen haben und wie viel Wissen ich mir über weiß Gott welche Krankheiten angeeignet habe. Durch den ganzen Stress habe ich tatsächlich körperliche Probleme bekommen: Stressbedingtes Asthma und Herzrhythmusstörungen.

Zuerst war das der Supergau für mich. Durch die Medikation habe ich auch direkt noch „hübsche“ 20 Kilo zugenommen. Was diese Kombination für mich als Hypochonder bedeutete brauche ich dir wohl kaum erklären. Es war die Hölle.

Meine Ehe lief sehr schlecht und auf der Arbeit konnte ich einfach nicht mehr durchhalten. Immer wenn ich eine deiner Emails gelesen habe, habe ich mich gefragt, ob es wohl wirklich möglich ist den ganzen Mist irgendwann einmal hinter sich zu lassen. Kann ich eine Angststörung überwinden?

Ich sammelte Informationen und stürzte mich immer mehr in das Thema. Mit der nächsten Panikattacke kam jedoch sofort wieder das Gefühl auf versagt zu haben und auch der Glaube, dass es nie wieder gut wird.

Bei einem erneuten Termin bei meinem Psychiater hatte ich plötzlich eine schreckliche Wut. Wut auf mich selbst und Wut auf die Welt. Es war Anfang 2016, ich war 27 Jahre jung und mein Arzt sprach mich darauf an, dass wenn ich wolle die Möglichkeit bestünde, dass ich eine bestimmten Prozentsatz an Behinderung beantragen könnte. BEHINDERUNG?!?! Hallo?! Geht’s noch?!

Dieser Moment hat in mir so viel geändert. Ich wusste wenn ich jetzt nichts mache, dann sinke ich immer weiter in diesem Sumpf. Also habe ich mir überlegt, was ich noch NICHT ausprobiert hatte. Ich war wütend auf alles und jeden und war bereit dazu so ziemlich ALLES zu tun.

Meine Antworten fand ich recht schnell: Loslassen. Veränderung schaffen. Ich überlegte mir, mit welchen Bereichen in meinem Leben ich nicht zufrieden bin. Das waren so einige. Ich entschied mich also, sofort alles anzugehen. Radikal. Kurzer Prozess. Bevor ich damit anders überlegen konnte.

Ich kündigte meine ungeliebte Arbeitsstelle, überlegte mir, was mir beruflich Freude bereiten würde, trennte mich von meinem untreuen Mann (das hat natürlich eine lange Vorgeschichte die hier einfach den Rahmen sprengen würde), meldete mich in einem Fitnessstudio an und begann, meine Psychopharmaka auszuschleichen.

Wow. War das wirklich alles ich?? Ja!! Und es waren die besten Entscheidungen in meinem Leben!!

Heute wohne ich mit meinem Sohn alleine (und das obwohl ich mich noch letztes Jahr in keinem Raum auch nur für zwei Minuten alleine aufhalten konnte), habe meine Therapie selbstverständlich ordentlich abgeschossen, nehme seit Anfang des Jahres keine Psychopharmaka mehr, arbeite als Beschäftigungstherapeutin im ambulanten Dienst mit Menschen, welche an Demenz erkrankt sind und trainiere drei bis vier mal wöchentlich im Fitnessstudio á 2,5 Stunden.

Ich habe 18 Kilo abgenommen und mir noch weitere 10 Kilo als Ziel gesetzt. Ich bekam bezüglich meinen Herzrhythmusstörungen einen Event Recorder implantiert, welcher jetzt alles aufzeichnet was ich vorher aus Angst nie sehen wollte. Bei der Implantation wollte ich weder Narkose noch Dämmerschlaf, ich wollte alles bei vollem Bewusstsein mitbekommen. Und habe die ganze OP problemlos durchgehalten.

Ich habe mich wieder tattoowieren lassen (wovor ich während der letzten beiden Jahre schreckliche Angst hatte weil ich meinem Körper damit ja einiges zumute wegen den Farben). Mein Asthma ist so gut geworden, dass ich keine tägliche Medikation mehr brauche, lediglich noch selten beim Sport eine Bedarfsmedikation wenn ich mich zu lange zu sehr anstrenge.


Tags

Angst, Angststörung, Angstzustände, Panikattacken, Veränderung


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  1. Hallo zusammen, ich möchte auch kurz von meiner (positiven) Geschichte berichten. 🙂
    Auch ich habe eine Angststörung überwunden und bin unendlich dankbar dafür und glücklich darüber. Aber letztendlich ist es mein Verdienst und das möchte ich kurz berichten! Ich weiß auch aus eigener Erfahrung, dass man immer wieder nach Erfolgsgeschichten googelt und hofft, die Panikattacken würden eines Tages einfach verschwinden. Von selber weggehen. Man wäre geheilt. Und es würde sich herausstellen, dass es keine Panikattacken sind. alles hätte einen ganz simplen anderen Grund.
    Aber eigentlich ist es so: du musst sie akzeptieren und aktiv an deinem Leben und dir arbeiten, nur so kannst du die Angst hinter dir lassen.
    Ich konnte knapp ein Jahr lang nicht alleine sein, nicht mehr alleine wohnen, nicht Autofahren, keine Zugfahrten unternehmen, geschweige denn arbeiten gehen. Alles war von jetzt auf gleich anders, meine Panikattacken wurden immer schlimmer und ich hatte konstanten Schwindel. Ich war mir jede Minute so sicher, die nächste Stunde nicht zu überleben. Ich war ein Schatten meiner selbst und fühlte mich so, als hätte ich eine Psychose.
    Bis irgendwann der Zeitpunkt kam, an dem ich nicht mehr konnte. Auch ich war sauer auf mich, dass es soweit gekommen war. Alle Ärzte hatten nichts feststellen können und ich wollte mein altes Leben zurück. Ich wollte wieder unbeschwert und fröhlich sein, Spaß haben und Dinge unternehmen. Ich wollte weder meinen Freund noch meinen Freundeskreis verlieren. Alle waren sehr verständnisvoll, aber mir war klar, dass dies nicht auf Dauer so bleiben würde.
    Also habe ich selber beschlossen auszutesten, ob ich wirklich umkippen würde. Ich habe angefangen, kleine Spaziergänge von 5 Minuten zu machen. Es klingt lächerlich, aber für mich war es unglaublich anstrengend. Irgendwann habe ich diese Spaziergänge auf 10 Minuten ausgeweitet und später bin ich irgendwann eine Stunde unterwegs gewesen. Mit jedem Spaziergang fühlte ich mich wieder wohler und selbstsicherer, den Schwindel nahm ich nicht mehr wahr und es war die beste Zeit am Tag. Davon gestärkt, habe ich (mit sehr großer Angst im Gepäck) kleine Zugfahrten unternommen. Erst nur eine Station und zurück. Und dann immer ein Stück weiter. Ich habe mich durch lesen, häkeln, Handy, etc abgelenkt. Es war teilweise sehr unangenehm, aber es hat funktioniert. Ein halbes Jahr, nachdem ich mit meiner „Eigentherapie“ begonnen habe, habe ich auch endlich einen VerhaltenstherapiePlatz bekommen. Das hat mir nochmal sehr viel weitergeholfen. Ich fing wieder an Auto zu fahren und habe eine berufliche Wiedereingliederung bekommen. Jede Woche hatte ich kleine Erfolgserlebnisse und irgendwann kam der Zeitpunkt, an dem ich nicht mehr kontinuierlich an die Angst dachte.
    Heute lebe ich mein Leben wieder wie früher, nur viel viel bewusster und sorgsamer. Ich kümmere mich um mich und stelle meine Bedürfnis ganz nach vorne 🙂 Eine richtige Panikattacke hatte ich das letzte mal vor einem Jahr, sie kam in einer Stressphase und ging wieder vorbei, ohne dass ich „in Panik geriet“.

    Es klingt so einfach und ist doch so u heimlich schwer, wenn man unter den Ängsten leidet, aber: nehmt euer Leben selbst in die Hand! Kämpft für euch und nehmt die Angst an die Hand. Ihr könnt sie besiegen. Akzeptiert sie und stellt euch selber kleine Aufgaben. Alles Liebe!

    1. Liebe Tina, ich stecke genau in der Situation, in der du mal warst! Aber ganz genau! Könnten wir vielleicht Kontakt aufnehmen? Schaust du hier noch mal vorbei und liest meine Nachricht? Denn dein Text hat mir so unfassbaren Mut gemacht! Ich hätte nie gedacht, dass es möglich sein könnte DAS zu schaffen, was du geschafft hast.
      Ich konnte ein Jahr nicht allein raus! Monate lang nicht allein bleiben! Nachdem ich deinen Text gelesen habe, bin konnte ich schon wieder ein mal 4 Stationen Bahn gefahren.
      Wie gern hätt ich weitere Tipps von dir!

      Ich würde mich so freuen, wenn du dich meldest!!!
      (Mail-Adresse kann angefragt werden)

      Vielleicht liest es ja noch jemand der es geschafft hat? Bitte melde dich!

      Viel Kraft und Mut für alle die sich mit dem Mist ankämpfen müssen! Wir schaffen das auch!!! Herzlichst eure Easy

  2. Hatte noch einmal einen Termin bei meiner Hausärztin sie hat mir jetzt frühs eine Opipramol und abends eine verschrieben ! Ich glaube das reicht nicht ganz ! Wenn jemand einen Rat hat was man noch tuen kann das diese Attacken endlich weniger werden würde ich mich freuen !

  3. Hallo ich bin Nancy 39 Jahre alt und habe eine Angst und Panikstörung war schon 2 mal in der Tagesklinik aber leider konnte man mir da auch nicht wirklich helfen ! Ich bin dabei endlich einen Weg draus zu finden denn so kann es mit mir nicht weiter gehen ! Das beschränkt mein Leben total !

    1. Hallo Nancy,

      das ist toll, dass Du Dich auf den Weg machst, Deinen Weg aus der Angststörung zu finden. Ich hoffe, dass Du hier den einen oder anderen Tipp für Dich mitnehmen kannst.

      Lieben Gruß.

      Sebastian

  4. Wunderschön geschrieben!!!! Und Respekt vor Sandra, es ist sehr sehr schwer für Menschen mit Attacken etwas im Leben zu ändern. Und dann noch gleich so radikal dazu. Wunderbare Mutmach Story.

  5. Wow, vielen Dank an Sandra dass sie den Mut hatte sich zu zeigen und zu berichten. Das schenkt Hoffnung!

    Oft sind die Ansätze aber nicht so einfach herauszufinden, wo genau denn nun die Balance nicht stimmt und somit nicht so einfach Veränderungen umzusetzen bzw. manchmal nicht möglich (Bsp. Kids in der Pubertät, sind abweisend und beleidigend und ich kann damit nicht adäquat umgehen. Kann sie ja schlecht rausschmeißen… 😉 Also muss ich was ändern. Wo gibt es denn dicke Felle zu kaufen???)

    1. Vielleicht hilft es Dir, wenn Du Dir zum einen verdeutlichst, dass das bis zu einem gewissen Grade normal ist und auch diese Phase vergeht. 😉

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